im Magazin des Stadtmuseums

Seit 2014 läuft, mit Unterstützung des Stadtmuseums Ingolstadt und dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, ein Projekt zur Neuaufnahme, Auswertung und Publikation der 1983 beim Bau der Tiefgarage hinter dem Neuen Schloss gefundenen Keramikgranaten.

Bedauerlicherweise wurde dieser Fund bisher noch nicht wissenschaftlich bearbeitet und angemessen publiziert, gerade weil er für die militärgeschichtliche und waffentechnische Forschung von besonderem Interesse sein dürfte. Zudem wird er selbst in aktuelleren themenbezogenen Fachpublikationen nicht erwähnt.

Die bisherige Untersuchung eines Teils der Granaten brachte schon zahlreiche interessante Details zu Tage. Eine Vorstellung es Fundes und erster Zwischenbericht erschien im März 2017 im 125. Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt.

2019 wurden die 1963 in München gefundenen Tongranaten in der Archäologischen Staatssammlung und im Stadtmuseum München aufgenommen.

 

Zusammenfassung

1983 wurde beim Bau der Tiefgarage hinter dem Neuen Schloss von Ingolstadt ein Depot mehrerer hundert irdener Granaten geborgen. Die Einschaltung der Denkmalpflege erfolgte verspätet, als Teile des Befundes bereits gestört und für die genaue Dokumentation verloren waren. Die Granaten lagen in einem verfüllten Wallgraben vor der 1800 abgebrochenen Feldkircher-Tor-Bastei (Eiskeller-Bastei). Aufgrund der Baugeschichte der Fundstelle kann eine Deponierung vor dem Jahr 1723 angenommen werden. Eine genauere Datierung der Granaten ist aktuell nicht möglich, jedoch erscheint deren Anschaffung im Zusammenhang mit den Belagerungen der Festung Ingolstadt in den Jahren 1546 im Schmalkaldischhen Krieg, 1632 im Dreißigjähren Krieg,  oder 1704 im Spanischen Erbfolgekrieg als plausibel.

Acht Keramik-Granaten aus Ingolstadt

Heute befinden sich über 550 vollständige und eine nicht bekannte Anzahl fragmentierte Granaten im Bestand des Stadtmuseum Ingolstadt, von denen bisher 530 vollständige Granaten und 63 Fragmente genauer untersucht werden konnten. Sie liegen als wenig einheitliche keramische Hohlkugeln mit Außendurchmessern von 105 bis 194 mm (Mittelwert 138 mm, Standardabweichung 13,4 mm) mit Wandstärken von 30 bis 65 mm und Gewichten von 1.266 bis 4.474 g (Mittelwert 2.479 g, Standardabweichung 670,9 g) vor. Die Granaten bestehen aus hellgrauen bis roten Tonen unterschiedlicher Qualität und Magerung, die frei Hand geformt oder auf der Töpferscheibe gedreht wurden. Die Stücke sind überwiegend oxydierend und ziegelartig hart gebrannt, einige haben ausgesprochene Verglasungen auf der Oberfläche. Die Oberflächenbearbeitung reicht von grob abgestochen bis zu einer feinen Glättung. Die Pulverkammervolumina der näher betrachteten Stücke reichen von 22 bis 298 ccm, bei einem Mittelwert von 95 ccm (Standardabweichung 41,9 ccm) was einer Gebrauchsladung von etwa 129 g Schwarzpulver entspricht. Mehr als 50 % der vorliegenden Granaten enthält eine anthrazitfarbene Masse in der Kammer, bei der es sich um Reste der ursprünglichen Pulverladung handelt. Die Zündlochdurchmesser reichen von 18 bis 45 mm (Mittelwert 28 mm, Standardabweichung 3,3 mm). Als Verzögerungszünder dienten kegelstumpfförmige Holzstopfen von 40 bis 80 mm Länge mit einer Bohrung in der Längsachse von 5 bis 9 mm, die mit einer langsam brennenden Pulvermischung gefüllt waren, wovon sich ebenfalls Reste in den Kanälen einiger Zünder erhalten haben. Bisher konnten 36 Hollzzünder nachgewiesen werden. 380 der 530 genauer untersuchten Granaten, und 13  Fragmente, tragen gestempelte oder eingeritzte Markierungen, mit bisher elf unterschiedlichen Motiven, bei denen es sich höchstwahrscheinlich um Töpfer- oder Werkstattmarken handelt. Auch innerhalb der Gruppen mit den selben Werkstattmarken weisen die Stücke ein breites qualitatives Spektrum auf.

Die verschiedenen Marken in Verbindung mit der enormen qualitativen wie formentechnischen Bandbreite deuten auf eine Fertigung in verschiedenen Werkstätten und auf nur ungenaue Vorgaben oder hohe Akzeptanzschwellen der Auftraggeber hin. Eine Fertigung in Notsituationen unter Zeitdruck ist ebenfalls denkbar, da selbst extreme Fehlbrände mit erhaltenen Ladungsresten vorliegen. Der Ingolstädter Tongranatenfund ist aufgrund der schieren Anzahl wie auch der Vielfalt an Formen, Größen, Verarbeitungsqualitäten und Werkstattmarken der bisher bedeutendste und umfangreichste Fund frühneuzeitlicher Keramikgranaten Europas, wenn nicht sogar weltweit, der mit Abstand aus allen Vergleichsfunden heraussticht.

(Stand 010/2023)

Siehe auch

  • G.R. (Andreas Franzkowiak, Chris Wenzel) 40 Tongranaten mit sieben Zündern. In: Haus der Bayerischen Geschichte, Haus der Bayerischen (Hrsg.): Barock! Bayern und Böhmen : Katalog zur Bayerisch-Tschechischen Landesausstellung 2023/2024, 2023, S. 145–146.
  • Franz Herzig: Hölzerne Zünder an Tongranaten aus Ingolstadt. In: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Schnitze dein Leben aus dem Holz, das du hast – Dendroarchäologische Einblicke in 6000 Jahre Holznutzung in Bayern (Schriften des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege) Nr. 26, 2021, S. 203–228.
  • Andreas Franzkowiak, Chris Wenzel: Keramikgranaten aus dem 17. Jahrhundert. In: Bund Deutscher Feuerwerker und Wehrtechniker: Mitteilungen. Heft 2, März/April 2019, S. 10–14 (Online).
  • Andreas Franzkowiak, Chris Wenzel: Keramikgranaten aus Ingolstadt - Ein außergewöhnlicher Fund. In: Waffen- und Kostümkunde - Zeitschrift für Waffen- und Kleidungsgeschichte. Heft 1, 2018, S. 65–80. (Online)
  • Andreas Franzkowiak, Chris Wenzel: Explosives aus der Tiefgarage - Ein außergewöhnlicher Keramikgranatenfund aus Ingolstadt. In: Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt. Nr. 125, Jahrgang 2016, S. 95–110. (Online auf Researchgate)
  • Kurt Scheuerer: Tongranaten aus dem Schlossgraben (Stadtmuseum Ingolstadt)
  • Festungsstadt Ingolstadt. Filmbericht der Rundschau auf BR3 vom 15.03.2017